1. Sonntag nach Epiphanias 9.1.22

Die Liebe Gottes, die Gnade Jesu Christi und die Gemeinschaft des heiligen Geistes sei mit uns allen.

Liebe Gemeinde,

an Weihnachten haben wir gefeiert, dass Jesus geboren ist. Das göttliche Kind ist zu uns gekommen. Nun befassen wir uns damit, wer das sein wird, wenn er erwachsen ist. Dazu haben wir einen alten Text aus dem Buch des Profeten Jesaja, den die alte Kirche auf Jesus gedeutet hat. Hier ist die Rede von einem Diener Gottes, den Gott geschickt hat, um in der ganzen Welt Gottes Gerechtigkeit durchzusetzen und zwar auf eine sanfte und trotzdem wirksame Art und Weise. Ich lese:

Jesaja 42,1-4

Seht, das ist mein Knecht, zu dem ich stehe.

Ihn habe ich erwählt,

und ihm gilt meine Zuneigung.

Ich habe ihm meinen Geist gegeben.

Er sorgt bei den Völkern für Recht.

2Er schreit nicht und ruft nicht laut.

Seine Stimme schallt nicht durch die Straßen.

3Ein geknicktes Schilfrohr zerbricht er nicht.

Einen glimmenden Docht löscht er nicht aus.

Er bleibt seinem Auftrag treu und sorgt für Recht.

4Er wird nicht müde und bricht nicht zusammen,

bis er auf der Erde das Recht durchgesetzt hat.

Mein Mann und ich waren über Silvester zu Besuch bei Freunden. Wir kamen zum Frühstück nach unten ins Wohnzimmer und unser Freud schlug gerade die Zeitung zu und sagte: „Ich habe die Zeitung jetzt erst halb durchgelesen. Aber am liebsten würde ich gleich wieder ins Bett gehen und mir die Decke über den Kopf ziehen. Irgendwie schaffen die Staaten es nicht genug gegen den Klimawandel zu tun. Über Afghanistan möchte ich gar nicht nachdenken. Im Jemen wird auch nichts besser. Und jetzt steigen auch bei uns die Coronazahlen. Ich verliere gerade die Hoffnung, dass wir das alles noch rechtzeitig schaffen.“ Ich konnte ihm da nur zustimmen. Und da fiel mir der Satz aus unserem heutigen Predigttext ein: „Ein geknicktes Schilfrohr zerbricht er nicht, einen glimmenden Docht löscht er nicht aus.“ Und ich dachte mir: Es ist in Ordnung wenn wir uns manchmal wie ein geknicktes Schilfrohr oder wie ein glimmender Docht fühlen. Wir sind in der Geschichte nicht die einzigen, die manchmal die Hoffnung verlieren, dass es noch besser werden kann. Und gerade, wenn man langsam älter wird und sich fragt: was kommt da noch auf mich zu an gesundheitlichen Einschränkungen. Und was kann der nächsten Generation alles passieren? Dann möchte man sich einfach im Bett verkriechen und sich die Decke über den Kopf ziehen oder sich in ein schmalziges Buch vertiefen oder ein aggressives Computerspiel spielen und nicht daran denken, wie schwierig es noch werden kann.

Aber natürlich können wir dann auch die Bibel aufschlagen und uns klar machen, dass damals zu biblischen Zeiten alles noch sehr viel schwieriger war als heute. Und auch Jesaja konnte nicht realistisch damit rechnen, dass es für Israel je wieder besser werden würde. Er saß mit der aus Israel verschleppten Oberschicht in Babylon und wusste nicht, ob Israel überhaupt noch eine Zukunft haben würde. Auf dem Treck waren viele gestorben. Und alles dort war fremd. Gott hatte diese Katastrophe zugelassen. Wie zuverlässig war dieser Gott denn auf ihrer Seite?

Und trotzdem schreibt Jesaja hoffnungsvoll über den Diener, den Gott schicken wird:

 Er bleibt seinem Auftrag treu und sorgt für Recht.

4Er wird nicht müde und bricht nicht zusammen,

bis er auf der Erde das Recht durchgesetzt hat.

Echt jetzt? Hier auf dieser Erde wird Gerechtigkeit herrschen? Ja, genau das meint Jesaja.

Alle werden erhalten, was sie brauchen. Niemand wird mehr ungerecht behandelt. Wasser, Luft und Erde sind für alle da. Und Jesaja spricht nicht nur über Israel. Im Exil hat er eine weitere Perspektive erhalten: Gott wird auf der ganzen Welt und nicht nur in Israel für Gerechtigkeit sorgen. Und die müden erschöpften Menschen, die keine Kraft mehr haben und sich gerade noch durch die Tage schleppen können, werden weiter leben. Er sagt seinem Volk im Exil: Wartet nur, verliert die Hoffnung nicht. Diese Katastrophe war ein Wendepunkt nicht nur für Israel sondern für die ganze Welt. Hier entsteht etwas, was ihr euch bisher noch nicht vorstellen konntet. Gottes Gerechtigkeit wird durchgesetzt und zwar überall auf der Welt.

Ja, aber heute zweieinhalbtausend Jahre später schlagen wir eine Zeitung auf und fühlen uns immer noch müde und erschöpft und denken: Von Gerechtigkeit keine Spur. Ist dieser Gott wirklich zuverlässig? Können wir dieser Zusage vertrauen? Hat Jesaja sich nicht einfach geirrt? Er wollte halt mit unrealistischen Hoffnungen seinen Leuten durch die schwere Zeit helfen. Und wenn wir heute diesen Text lesen, dann machen wir genau das Gleiche. Wir versuchen uns gegenseitig durch die schwere Zeit zu bringen, indem wir unrealistischen Hoffnung nachhängen, indem wir denken, Gott hat Jesus Christus geschickt. Wir können uns auf ihn verlassen. Ja, das geknickte Schilfrohr wird er nicht brechen und den glimmenden Docht nicht auslöschen. Daran halten wir uns fest solange es geht. Aber tief in unserer Seele wissen wir schon, dass das alles Illusionen sind und es Gerechtigkeit auf dieser Welt niemals geben wird und es auch keinen Gott gibt, der uns leitet und uns durch dieses Leben durchbringt.

Ist ok. Wir sind halt manchmal müde und erschöpft und haben Angst, dass wir alleine in einer kalten bzw. dann zunehmend in einer heißer werdenden Welt zurecht kommen müssen. Dieser Jesajatext zeigt uns, dass Gott damit klar kommt. Wir dürfen auch mal wie ein geknicktes Schilfrohr oder wie ein glimmender Docht sein. Wir müssen nicht immer gerade und aufrecht im Glauben stehen. Unser Feuer darf auch mal kurz vorm Erlöschen sein. Das wird den Diener Gottes, im christlichen Verständnis Jesus Christus, nicht davon abhalten das zu tun, wozu er zu uns gekommen ist. Sanft und nachhaltig und mit großem Durchhaltevermögen das Recht und die Gerechtigkeit Gottes auf der ganzen Welt durchzusetzen. Es ist nicht schlimm, wenn unser Glaube mal fast am verlöschen ist. Es ist nicht schlimm, wenn unsere Hoffnung auf Gerechtigkeit für diese Welt zerbricht. Damit kommt er klar.

Und wir können uns selbst und anderen damit helfen, dass wir nicht nur Zeitung lesen sondern auch Statistiken. Da ist nicht jeder der Typ für. Aber ich mag Statistiken. Und wenn ich mir zum Beispiel das Buch von Hans Rosling mit dem schönen Titel Factfullness ansehe, dann denke ich vielleicht ist nicht die Hoffnung auf Gerechtigkeit in der Welt unrealistisch sondern der Blick, den uns die Zeitungen vermitteln. Ich empfehle Ihnen das Buch dringend: Factfullness von Hans Rosling. Es zeigt, wie sich in den letzten zwei Jahrhunderten in der Welt die Lebensbedingungen der allermeisten Menschen rasant verbessert haben. Für mich stärkt es den Glauben, dass Gott mit uns Menschen unterwegs ist und diese Welt in Richtung auf mehr Gerechtigkeit und Frieden entwickelt – ja langsam vorsichtig aber nachhaltig und unumkehrbar. Der Geist Jesu Christi breitet sich aus, nicht nur in den Kirchen, aber auch da. Wir müssen uns dringend klar machen, dass unsere Gefühle von Niedergang des christlichen Glaubens kein weltweites Phänomen sind im Gegenteil. Und unser Gefühl, dass die Welt immer schlimmer wird ist ebenfalls unrealistisch. Ja, wir dürfen uns müde und erschöpft und hoffnungslos fühlen. Aber das bildet nicht die Wirklichkeit ab. Auf Gott zu vertrauen und Jesus Christus zuzutrauen, dass er die Welt zu einem gerechteren Ort machen wird, das ist viel realistischer als die Hoffnungslosigkeit die fast jeden von uns mal für eine gewisse Zeit erfasst.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft bewahre unsere Herzen und Sinn in Christus Jesus zum ewigen seligen Leben!

%d Bloggern gefällt das: