1. Weihnachtstag 25.12.22

Die Liebe Gottes, die Gnade Jesu Christi und die Gemeinschaft des heiligen Geistes sei mit uns allen.

Liebe Gemeinde,

Heute am ersten Weihnachtstag vertiefen wir, was wir am Heiligabend angefangen haben zu feiern: Die Geburt des Christkindes.

Heute überlegen wir uns wer dieses Christkind für uns ist. Dabei betrachten wir die kosmische Bedeutung des Christus für das ganze Universum. Um diese Bedeutung geht es im Kolosserbrief. Aber hören Sie selbst. Ich lese

Kolosser 2,3, 6-10

In ihm sind alle Schätze der Weisheit

und Erkenntnis verborgen.

6Ihr habt Christus Jesus, den Herrn, angenommen.

Richtet also euer Leben an ihm aus!

7Bleibt in ihm verwurzelt

und gründet euch als Gemeinde ganz auf ihn.

Werdet fest im Glauben, wie ihr gelehrt worden seid.

Und hört nicht auf, Gott zu danken.

8Gebt acht, dass euch niemand in die Falle lockt!

Weder durch seine Philosophie

noch durch falsche Lehren,

die nur auf menschlicher Überlieferung beruhen.

Ihre Grundlage sind die Elemente dieser Welt –

und nicht Christus!

9In ihm ist die ganze Fülle Gottes

leibhaftig gegenwärtig.

10Und an dieser Fülle habt ihr Anteil,

weil ihr zu Christus gehört.

Der steht als Haupt über allen Mächten und Gewalten.

In Christus sind alle Schätze der Weisheit und Erkenntnis verborgen. Das ist spannend. Ich hätte jetzt erwartet, dass in Christus alle Schätze der Weisheit und Erkenntnis offenbar sind. Aber so ist es nicht. Sie sind verborgen. Hier gibt es ein Geheimnis, dass nicht einfach für jeden und jede immer zugänglich ist. Und das entspricht ja auch unserer Erfahrung – also zumindest meiner Erfahrung. Alles, was ich über Christus sagen kann, ist oft widersprüchlich und oft weder logisch noch einfach verständlich.

Es gibt in unserer wissenschaftlich erforschten und mathematisch beschriebenen Welt, Erkenntnisse, die sind wahr und grundsätzlich für jeden nachvollziehbar. Steine fallen von oben nach unten, wenn keine andere Kraft als die Schwerkraft auf sie wirkt. Man kann sicher berechnen wie schnell sie fallen, wenn man ihre Masse und den Ort, von dem aus sie fallen, kennt. Das zu berechnen lernt man in der Schule. Wenn man sich fragt, was die Schwerkraft ist, wird es schon komplizierter. Aber es gibt viele wissenschaftlich gut belegte Fakten, über die sich die sich alle einig sind.

Aber es gibt auch eine andere Sorte von Erkenntnissen, die sich im Laufe eines Lebens ansammeln und verdichten und die für Menschen, die nicht ähnliche Erfahrungen gemacht haben, nicht einfach zugänglich sind. Ältere Menschen versuchen diese Erfahrungen manchmal an jüngere weiterzugeben, die dann auch etwas davon verstehen, aber sie nicht in vollem Umfang in ihrer Bedeutung einschätzen können.

Diese Sorte von Erfahrungswissen bleibt zumindest zum Teil verborgen bis man etwas erlebt, was einem einen tieferen Zugang dazu ermöglicht. Und dann kann man es oft genauso wenig genau beschreiben wie die andere Person, die versucht hat, es einem zu vermitteln.

Ein Beispiel: Ältere Leute sagen manchmal: Man muss zufrieden sein. Oder auch: Ich bin zufrieden, oder Hauptsache zufrieden.

Natürlich können sich jüngere Leute vorstellen, dass es sinnvoll ist, zufrieden zu sein. Und ein Schüler weiss auch: Es hat keinen Sinn, wenn ich versuche meiner unangenehmen Lehrerin deutlich zu machen, dass ich, wenn sie mich etwas fragt, vor lauter Angst nicht gut denken kann. Und vielleicht hat er gerade keine andere Wahl, als sich mit dieser Situation abzufinden. Aber die Schulzeit wird irgendwann zu Ende sein. Und vielleicht bekommt er ja am Ende des Schuljahres einen neuen Lehrer in diesem Fach.

Aber es ist etwas anderes, wenn jemand dauernde Schmerzen hat und klar ist, dass er mit diesen Schmerzen leben muss. Und dann einen Weg finden muss, anzunehmen, dass sich das wahrscheinlich nicht mehr ändern wird. Und dann ist klar, dass er um seine Zufriedenheit kämpfen muss und es schwer ist. Aber jemand, der nicht dauernd Schmerzen hat, kann das wahrscheinlich nicht in seinem vollen Umfang verstehen.

Das gilt nicht nur für leidvolle sondern auch für freudige Erfahrungen. Zum Beispiel nach der Geburt unserer Tochter. Dieses unfassbar kleine neue Wesen. Und ich sehe es an und es macht die Augen auf. Und ich schaue in das blaue, bzw. bei unserer zweiten Tochter in das unfassbar dunkelbraune. Das Gefühl dabei kann ich nicht beschreiben.

Religiöse Erfahrung hat oft diese geheimnisvolle Qualität, dass sie für jemanden, der es nicht erlebt hat, unverständlich bleibt. Und der Verfasser des Kolosserbriefes versucht uns etwas von seiner religiösen Erfahrung weiter zu geben, indem er sagt: In Christus ist die ganze Fülle Gottes leibhaftig gegenwärtig. Und an dieser Fülle habt ihr Anteil, weil ihr zu Christus gehört.

Das ist keine wissenschaftlich belegte Tatsache. Aber es ist eine Erfahrung, von der der Verfasser des Kolosserbriefes denkt, dass er sie mit seinen Adressaten teilt.

Ich weiß nicht, ob ich das Nachvollziehen kann. Ich habe durch Christus Anteil an der Fülle Gottes. Genauer wir als Gemeinde haben durch Christus Anteil an der Fülle Gottes, weil wir zu Christus gehören.

Was heißt es zu Christus zu gehören? Gehöre ich zu Christus? Gehören wir zu Christus? Und was ist die Fülle Gottes? Und habe ich als Christin dazu Zugang? Einen Zugang, den Buddhisten und Atheisten und Moslems nicht haben?

Vielleicht sind das die falschen Fragen.

Vielleicht geht es nicht um die Abgrenzung gegenüber anderen Gemeinschaften oder anderen Religionen oder anderen Personen.

Vielleicht geht es einfach um eine umwerfende Erfahrung, die man im Glauben an Jesus Christus machen kann und die schwer zu beschreiben ist.

Die Fülle Gottes, mehr als die Fülle des Lebens, was sowieso schon schwer zu beschreiben ist.

Ich habe schon oft erlebt, dass Menschen versuchen von dieser Erfahrung zu erzählen. „Plötzlich sah ich ein Licht, und es war unfassbar einladend und liebevoll. Und ich wusste plötzlich, dass es Gott gibt und ich keine Angst vor dem Tod zu haben brauche.“

Oder

„Ich war sehr verzweifelt und wollte meinem Leben ein Ende setzen, und ich war schon unterwegs in dem 10 Stock des Hochhauses, weil ich einfach nicht mehr ausgehalten habe. Und dann habe ich eine Stimme gehört. Die hat gesagt: Tu es nicht! Und ich musste umkehren. Und seitdem wusste ich, dass mein Leben unendlich wertvoll ist, und ich hier noch eine Aufgabe habe.“

Oder

„Und dann lag ich auf dem Stuhl, und mein Auge sollte operiert werden. Und plötzlich war die Angst vorbei und ich wusste, dass dies gerade der sicherste Ort auf der Welt für mich ist.“

Die Fülle Gottes ist nichts, dessen wir uns jederzeit im Alltag bewusst sind. Aber hier in der Kirche sind wir eine Gemeinschaft, die sich gegenseitig solche Erfahrungen erzählen kann. Und wir leben hier im Vertrauen und in der Hoffnung darauf, dass wenn wir Gott wirklich brauchen, er uns durch schwierige Zeiten helfen wird. Und wir vertrauen auf Christus, dass er uns diesen Zugang zur Fülle Gottes eröffnet und wir immer mal wieder einen kurzen Blick in die Ewigkeit erhaschen, die in großer Freude, hier in diesem Leben manchmal schon aufscheint.

Christliche Gemeinde ist, dass wir diese Erfahrungen teilen und dass wir uns gegenseitig ermutigen und uns immer wieder versichern, dass wir im Glauben an Christus Zugang zur Fülle Gottes bekommen je  nach dem wie wir es brauchen. Das feiern wir heute im Abendmahl.

und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft bewahre unsere Herzen und Sinn in Christus Jesus zum ewigen seligen Leben.

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