Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen. Amen.
Liebe Gemeinde,
im Augenblick am Mittwochmorgen weiß ich nicht, ob ich diese Predigt in der Kirche halten werde und Sie in der Bank eine Maske aufhaben müssen. Oder ob wir angesichts der gestiegenen Zahlen von Corona-Neuinfektionen im Landkreis wieder zu dem Verschicken per E-Mail wie im Frühjahr zurückkehren. Das werden wir heute Abend im Kirchenvorstand entscheiden.
Ich als Allergiker mit ständiger Verschleimung der Nasennebenhöhlen bin sehr genervt von der Maskenpflicht. Ich versuche alle Situationen zu vermeiden, wo ich sie aufhaben muss. Obwohl ich mich an die Fußpflege erinnere, wo ich es am Ende kaum noch gemerkt habe.
Regeln müssen sein – auch wenn sie manchmal ziemlich nerven. Was sagt eigentlich Jesus zu Regeln? Was schätzen Sie?
Viele erwarten von der Kirche, dass sie für Werte eintritt. Wir als Kirche sollen den Leuten sagen, dass sie rücksichtsvoll sein sollen und anständig. Dummerweise denken viele, die das erwarten, mehr an die anderen, über die sie sich ärgern. Falls die Kirche etwas an ihrem Verhalten oder ihrer Einstellung kritisiert, finden sie das nicht so gut. Also Werte und Regeln – möglichst für die Anderen?
Das kann es nicht sein. Das wissen wir. Aber vielleicht gehen deswegen so viele nicht in den Gottesdienst. Sie wissen schon, dass man sich moralisch benehmen soll. Aber sie wollen nicht so gerne dauernd daran erinnert werden. Wieso also sich einer moralischen Sonntagspredigt aussetzen, wenn der Alltag sowieso etwas ganz anderes ist und man sehen muss, wie man durchkommt. Sie kennen ja den Witz. Jemand kommt vom Sonntagsgottesdienst zurück und wird beim Mittagessen gefragt, worüber der Pfarrer gepredigt hat. Er antwortet: über die Sünde. Er wird gefragt: Und was hat er darüber gesagt? Antwort: Er war dagegen.
Schauen wir uns an, was Jesus wirklich über Regeln gesagt hat. Ich lese Markus 2,23-28.
23An einem Sabbat ging Jesus durch die Felder.
Unterwegs rissen seine Jünger Ähren von den Halmen.
24Da sagten die Pharisäer zu ihm:
»Sieh nur, was sie tun.
Das ist am Sabbat verboten.«
25Er antwortete ihnen:
»Habt ihr denn nicht gelesen,
was David getan hat,
als er und seine Männer in Not waren
und Hunger hatten?
26Der Oberste Priester war damals Abjatar.
David ging in das Haus Gottes
und aß von den Broten auf dem Altar.
Dabei durften eigentlich
nur die Priester davon essen.
Aber David gab sogar seinen Männern von den Broten.«
27Und Jesus sagte zu den Pharisäern:
»Gott hat den Sabbat für den Menschen gemacht,
nicht den Menschen für den Sabbat.
28Also kann der Menschensohn auch bestimmen,
was am Sabbat erlaubt ist.«
Die Pharisäer waren eine Gruppe, die wollten die Regeln Gottes besonders gut erfüllen. Deshalb haben sie zusätzliche Regeln aufgestellt und von allen verlangt, dass sie sich daran halten. In den 10 Geboten heißt es: Du sollst den Feiertag heiligen. Du darfst dich ausruhen. Auch die Knechte und Mägde dürfen sich ausruhen. Das ist die Erinnerung daran, dass Gott euch aus der Zwangsarbeit in Ägypten befreit hat.
Die Pharisäer haben daraus gemacht. Du darfst nichts tun, was irgendwie nach Arbeit riecht. Du darfst nur 1000 Schritt gehen. Dein Essen musst du am Tag vorher vorbereiten. Ein Arzt darf nicht den Kranken heilen, denn das ist seine Arbeit. Und so weiter. Die sinnvolle Regel, du darfst frei sein von Arbeit am Feiertag, wird so zu einem Berg von Vorschriften.
Das machen die Pharisäer mit den besten Absichten. Sie gehen davon aus und hoffen: wenn an einem Tag alle im Volk sich an die Regeln Gottes halten, dann kommt der Retter der Endzeit und alles wird gut. Dafür lohnt es sich, die Regeln genau zu befolgen.
Jesus geht mit seinen Jüngern über die Felder. Sie leben ja nicht an einem bestimmten Ort, sondern ziehen das Land. Wanderprediger ist Jesus. Er heilt an einem Ort Menschen, predigt und dann zieht er weiter. Da kann man schlecht das Essen für den Feiertag vorbereiten. Die Jünger haben Hunger und nehmen ein paar Weizenkörner im Vorübergehen vom Acker. Das sehen die Pharisäer und beschweren sich bei Jesus. Jesus erinnert sie daran, dass auch schon der große, von Gott besonders gesegnete, König David in einer Notlage den Buchstaben des Gesetzes gebrochen hat. Er hat die Altarbrote gegessen mit seinen Freunden. Die Altarbrote, die eigentlich nur der Priester essen darf. Und dann stellt Jesus eine neue, sehr menschliche Regel auf, die ich sehr toll finde: Der Mensch ist nicht für den Sabbat, den Feiertag, gemacht. Sondern der Sabbat, der Feiertag, für den Menschen.
Der Sinn aller Regeln ist ein gutes Leben für die Menschen. Daran müssen sich Regeln messen. Was ist jetzt gut in dieser Situation. Was dient jetzt gerade dem Leben und der Menschlichkeit?
Jesus geht nicht einfach lasch mit Regeln um. An anderer Stelle verschärft er die Regeln. In der Bergpredigt deutet er das Gebot „Du sollst nicht töten“ so, dass wir keine Hassgedanken und zornige Worte haben sollen. Das Gebot fängt also schon in den Gefühlen und Phantasien an. Wir sollen den Zorn und den Ärger über die anderen möglichst schnell abfließen lassen. Es soll sich nicht bei uns festsetzen, weil es unser Leben behindert und verdüstert. Auch hier ist die Frage nicht: was sagt der Buchstabe, der genaue Wortlaut der Regel? Sondern was ist der Sinn? Was dient dem Leben und der Menschlichkeit? Was ist in dieser Situation das Beste für alle Beteiligten? Und wie bekommt man das hohe Stresslevel in einer Gruppe von Menschen runter? Wie kann man die Lage entspannen und menschenfreunlicher machen? Menschenfreundlicher für alle.
Denn das ist der Hauptunterschied von Jesus zu den Pharisäern. Jesus denkt auch an die, die die Regeln nicht einhalten können. An die Armen, die nicht die Bedingungen dafür haben. An die, die mit den Römern, der Besatzungsmacht, zusammen arbeiten müssen, die Zöllner, und deshalb mit Nichtjuden zusammen kommen und sich verunreinigen. An die Sünder, vermutlich ist da vor allem an Prostituierte gedacht.
Jesus möchte das Gottesvolk erneuern und zu einem Verhalten ermutigen, das sich öffnet für das Reich Gottes. Für Gott, der kommt, und das Leben neu macht, so dass es wie ein großes Fest ist. Und dazu darf niemand ausgeschlossen werden. Die Regeln Gottes wollen die Menschen darauf vorbereiten, dass Gott selbst mitten unter den Menschen ist und damit die Fülle des Segens. Die Regeln sind für den Menschen gemacht. Nicht der Mensch für die Regeln.
Was heißt das für uns heute? Für die Kirche als eine bürokratische Institution heißt das: wir wollen nicht päpstlicher sein als der Papst. Die bürokratischen Regeln sollen dienen, nicht herrschen. Von der Regel Jesus: die Regeln sind für den Menschen da, nicht umgekehrt, können wir als Kirche und alle anderen Einrichtungen, die viel Bürokratie erzeugen, noch viel lernen.
Was heißt das für die Corona-Regeln. Wir haben auf der einen Seite Menschen, die sind überängstlich. Denen würde ich gerne sage: die Wahrscheinlichkeit, jemandem zu begegnen, der ansteckend ist, ist immer noch sehr gering.
Dann gibt es Menschen, die sich nicht so sehr an die Regeln halten. Denen würde ich gerne sagen. Seid vorsichtig. Nicht nur um euretwillen. Denkt nicht nur an euch dabei.
Ich beobachte in der Gesellschaft eine großes Angespanntsein. Die Leute gehen schnell hoch. Es nervt und stresst, dass es jetzt schon wieder losgeht mit den hohen Zahlen. Und dass die Gefahr uns noch eine ganze Weile begleiten wird, wahrscheinlich bis Ende nächsten Jahres bis zu einer halbwegs verbreiteten Impfung.
Wie kann Entspannung in die Situation kommen? Jeder Einzelne muss seine Entspannungstechniken anwenden. Und insgesamt könnten wir uns weniger übereinander aufregen. Wir sind unterschiedlich – und das ist gut so. Wir werden auch einen gewissen Prozentsatz von Menschen aushalten, die sich nicht an die Regeln halten.
Was wir als Christen beitragen können ist die Bereitschaft, sich an die eigene Nase zu fassen. Man nennt das die Bereitschaft zur Buße. Jesus beginnt seine Wanderpredigertätigkeit mit der Botschaft: Das Reich Gottes ist nahe herbei gekommen. Tut Buße und glaubt an die Frohe Botschaft.
Es kommt etwas sehr gutes. Gott kommt. Und das bedeutet: freundliche Zuwendung. Hülle und Fülle. Der gute Wein bei der Hochzeit. Die vielen Feste, die Jesus gefeiert hat. Was kommt, ist sehr gut. Wir machen uns bereit, indem wir hinschauen, wo etwas bei uns nicht gut ist. Und Jesus, den menschenfreundlichen Heiler, zu uns bitten. Das Kommen Gottes kann beginnen. Es ist ganz nahe.
Und wenn Gott nahe ist, sind Regeln egal. Da ist dann soviel Beziehung und Nähe und Geborgenheit – da denken wir gar nicht mehr an Regeln. Die Regeln sind nur etwas vorläufiges. Etwas, das uns bereit macht für das Kommen Gottes. Und das Kommen Gottes beginnt mit dem Kommen der Menschenfreundlichkeit. Die Regeln müssen für die Menschen gut sein.
Und der Friede Gottes…