3. Sonntag nach Trinitatis 3.7.21 Albrecht Burkholz

Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen. Amen.

Liebe Gemeinde, heute beginnt die 5teilige Sommerpredigtreihe Jesus streitet sich.

Die meisten von uns stellen sich Jesus als sanften jungen Mann mit langen Haaren vor. Er segnet die Kinder. Er heilt durch sanfte Berührung. Er ist freundlich gegenüber denen, die an den Rand geschoben sind. Gegenüber Frauen. Gegenüber Fremden. Ja, sogar gegenüber Aussätzigen.

Aber Jesus streitet sich auch. Das erzählt das Neue Testament. Auch das gehört zum Bild. Es ist in den Kinderbibeln nicht so dargestellt und deshalb entspricht das nicht ganz unserem Gefühl. Aber das muss ja so sein. Wenn der Mensch, mit dem Gott zur Welt kommt, die Wahrheit sagt, dann muss das Ärger geben. Er selbst hat zwar gesagt, dass die Wahrheit frei macht. Aber wir wollen keine unangenehmen Wahrheiten hören. Nicht über unsere Rückseiten. Nicht über das, was wir eigentlich machen müssten. Und erst recht wollen wir nicht hören, wo wir falsch liegen. Aber die Wahrheit lässt sich nicht vermeiden. Es ist besser, sie rechtzeitig zu hören. Jesus muss die Wahrheit sagen. Jesus muss sich streiten.

Von dem streitenden Jesus können wir lernen: Wir Christinnen und Christen sollen also nicht um des lieben Friedens willen jeden Streit vermeiden. Wir sollten uns überlegen, wann sich der Ärger lohnt. Christliche Liebe heißt nicht Streitvermeidung um jeden Preis.

Nun zu den Pharisäern. Die waren Jesus sehr ähnlich. Es ging darum, sich Gott neu zu öffnen. Die Römer waren im Land die Besatzungsmacht. Das hat den jüdischen Glauben in Frage gestellt. Wie sehr sollte man sich anpassen? Wie sehr sollte man Widerstand leisten? Und es kam darauf an, nicht zu vergessen, wie toll der eigene Glaube ist. Die Geschichte von Mose und der Befreiung aus Ägypten, die Geschichte von David und wie er den Riesen Goliath besiegt hatte, all das musste neu gepflegt werden. Erinnert werden. Bedacht werden. Es kam darauf an, sich nicht an die Römer, an die Sieger, anzupassen.

Darin waren Jesus und die Pharisäer einig. Die Pharisäer wollten, dass an einem Tag alle im Volk das Gesetz halten. Dann würde Gott sie von den Feinden befreien. Und ein neuer David würde das Volk in ein gutes Zeitalter führen. Damit alle das Gesetz halten, haben die Pharisäer einen Zaun um das Gesetz gemacht. Also einen Sicherheitsabstand.

Beispiel: man soll am Sabbat nicht arbeiten. Die Pharisäer haben das in Einzelregeln umgearbeitet. Man darf nur eine bestimmte kurze Wegstrecke gehen. Man darf beim Spazierengehen keine Ähren zupfen, das wäre Arbeit. Man darf niemanden heilen, das wäre Arbeit. Also, die Pharisäer waren 150 Prozentige. Das Problem war: die Armen konnten das nicht so einfach einhalten. Deshalb haben die Pharisäer auf Sünder herabgesehen. Das fand Jesus überhaupt nicht gut. Er verteidigt seine Jünger, die Ähren zupfen. Er verteidigt sich selbst, als er am Sabbat heilt. Und er verteidigt die Armen, die ausgeschlossen werden von den übergenauen Pharisäern. Vor allem aber wirft er den Pharisäern Heuchelei vor. Sein Vorwurf: ihr predigt Wasser und trinkt Wein.

Leider kann man immer wieder in der Kirchengeschichte sehen, dass besonders fromme Menschen dazu neigen, in diesem Sinne Pharisäer zu sein. Sie bilden sich etwas auf ihre Korrektheit ein. Sie schließen andere aus. Und sie sind dabei Heuchler, weil sie nicht sehen, dass sie selbst gar nicht so richtig handeln.

Das ist eine Gefahr von Menschen, die sich besonders einsetzen für ihren Glauben. Und die Reaktion der normalen Christen darauf ist, und das höre ich oft: Ich bin viel sozialer und handle viel besser als die, die immer in die Kirche rennen.

Das Problem: die, die immer in die Kirche rennen, die gibt es gar nicht mehr so. Wir brauchen heute Menschen, die in die Kirche gehen. Die mitmachen. Und die wissen: ich bin nicht besser als andere Menschen. Aber ich habe es besser, wenn ich das, was mich belastet, im Gottesdienst an Gott abgeben kann.

Wir als Kirche brauchen Menschen, die das Pharisäer-Image nicht scheuen. Denn heute wird man eher blöd von der Seite angemacht, wenn man in die Kirche geht. Haste es so needig? Fragen die Leute.

Das Pharisäerverhalten gibt es ja nicht nur in der Kirche. Überall in den Vereinen gibt es doch die Überengagierten und Überkorrekten, die es den Neuen schwer machen, reinzukommen. Das ist menschlich normal und trotzdem gefährlich. Denn gerade die Überengagierten und Überkorrekten wollen ja eigentlich, dass Neue dazukommen. Aber mit ihrem Verhalten sorgen sie dafür, dass das nicht passiert.

Es ist also eine menschliche Grundstruktur. Wir alle sind in der Gefahr, Pharisäer zu werden.

In der Kirchenpolitik z.B. machen meine Frau und ich den Mund auf gegen die Schwächung der Ortsgemeinden. Viele Kollegen halten die Klappe und lassen alles über sich ergehen, sind nur hintenrum sauer und hoffen auf ihre Pensionierung. Ich merke, dass ich diese Laschheit und Feigheit verachte. Aber wenn ich anfange, mich in die Kollegen mit den ganzen Stellen mit ihrer Überlastung einzufühlen, dann verstehe ich sie mehr. Und wenn ich sie mehr verstehe, habe ich eher eine Basis, mit ihnen zu reden und sie für meine Sache zu gewinnen.

Ich muss also von meinem inneren Pharisäismus weg. Davon, dass ich mich für besser, weil widerstandsfähiger halte. Erst wenn ich innerlich Abstand gewinne von diesem inneren Hochmut, kann ich offen sein für die anderen, die anders an die Sache rangehen müssen, weil sie in einer anderen Lebenssituation sind.

Wir sehen also: Pharisäismus ist nicht nur etwas in  frommen Kreisen. Es ist eine Gefahr für alle Menschen. Die, die ihr Auto ordentlich pflegen, verachten die, die das nicht tun. Die, die ihren Hund besonders gut behandeln, verachten die, die das nicht tun. Die, die Sport machen, verachten die, die keinen machen. Usw.

Und immer sehen wir dabei nicht unsere eigene Rückseite. Und immer schaffen wir es nicht, uns in andere Menschen in ganz anderen Lebenssituationen einzufühlen.

Jesus ist so sauer auf die Pharisäer, weil sie so viel kaputt machen. Eigentlich arbeiten beide Seiten an der gleichen Sache. Das Volk, das erschüttert ist von der römischen Besatzung, zu öffnen für Gott. Und wenn die Pharisäer Jesus nicht in den Rücken gefallen wären, dann hätte man doch so viel erreichen können. Und so endet das in der Gewalt. Jesus wird gekreuzigt. Die Jesusbewegung wird zum Christentum. Die Pharisäer werden zum Judentum. Und die Geschichte der Spannung geht weiter.

Was können wir für heute daraus lernen?

Im Streit immer ein Stück zurücktreten und durchatmen. Und wenn wir uns in den anderen oder die andere einfühlen, haben unsere Worte eher die Chance, gehört zu werden.

Höflichkeit schadet nichts. In der Geschichte, die Margit Buxbaum-Elstner gelesen hat, ist der Pharisäer Simon, der Jesus eingeladen hat, sehr unhöflich nach den damaligen Maßstäben.

Vorurteile helfen nicht weiter. Dieser Simon hat ein Vorurteil gegenüber der Sünderin, die Jesus salbt, und gegenüber Jesus, der das doch wissen müsste. Beide Vorurteile bestätigen seinen Hochmut und verhindern, dass er anders und neu nachdenkt.

Manche Streite lassen sich nicht beilegen. Jesus wirbt in dieser Geschichte um Simon den Pharisäer. Aber in seiner zornigen Rede kurz vor seiner Kreuzigung hat Jesus die Hoffnung verloren, die Pharisäer zu gewinnen. Obwohl einzelne Pharisäer zu den Jüngern gehören. Und später der Oberpharisäer Paulus nach einer Zeit der Christenverfolgung zum wichtigsten Verbreiter des Christentums wird. Und Christentum und Judentum haben sich in wechselseitiger Abgrenzung und im wechselseitigen Lernen in den ersten Jahrhunderten gebildet. Und auch heute noch lernen wir voneinander. Trotz Holocaust. Oder vielleicht gerade deshalb. In der Verfassung unserer Kirche ist die bleibende Erwählung Israels festgehalten. Ich lese mit Gewinn einen Kommentar von jüdischen Auslegerinnen und Auslegern zu allen Texten des Neuen Testaments. Also: der Streit ist nicht beizulegen, aber vielleicht auf einer anderen Ebene fruchtbarer zu führen. Nach langer Zeit.

Pharisäismus als hochmütige Heuchelei, die andere ausschließt, ist eine große menschliche Gefahr und die gibt es in vielen Bereichen. Wir werden dieser Gefahr vermutlich nie völlig ausweichen können. Wir versuchen aufmerksam zu sein. Wir korrigieren uns gegenseitig. Wir sind bereit, Schuld zu bekennen und uns zu ändern. Und im Vaterunser bitten wir, dass wir nicht in die Falle tappen: Führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Bösen.

Wir sehen also: wir lernen von Jesus. Wir lernen auch davon, wie Jesus gestritten hat. Streit kommt in unserem Leben leider vor. Und wir können probieren, das Beste daraus zu machen. Dazu helfe uns Gott, der in uns der Impuls zur Wahrheit und zum Frieden ist.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle unsere menschliche Vernunft, der bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus zum ewigen, seligen Leben. Amen

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