Der Hahn auf dem Kirchturm 10.3.24 Albrecht Burkholz

Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen. Amen.

Liebe Gemeinde, in unserem Predigttext geht es um einen Menschen, der ein Held sein will. Und dann versagt er. In unserem Predigttext geht es darum, wie er durch die Niederlage hindurch am Ende doch ein Held wird. Er wird ein Held, aber ganz anders als gedacht. Ein Held, zum dem das Versagen dazu gehört.

Ich lese Lukas 22,54-62

54Die Männer nahmen Jesus fest, führten ihn abund brachten ihn in das Haus des Hohepriesters. Petrus folgte in einiger Entfernung.55In der Mitte des Hofes brannte ein Feuer,um das sich einige Leute versammelt hatten.Petrus setzte sich mitten unter sie.56Ein Dienstmädchen sah Petrus dort im Schein des Feuers sitzen.Sie musterte ihn aufmerksam und sagte:»Der da war auch mit ihm zusammen!«57Petrus stritt das ab und sagte:»Ich kenne ihn gar nicht, Frau!«58Kurz darauf sah ihn jemand anderes und sagte:»Du gehörst auch zu denen!«Aber Petrus erwiderte:»Mensch, ich doch nicht!«59Etwa eine Stunde später behauptete ein anderer:»Ganz bestimmt gehört er zu denen!Er kommt doch auch aus Galiläa.«60Aber Petrus stritt es wieder ab:»Mensch, ich weiß überhaupt nicht, wovon du sprichst.«Im selben Moment, während er noch redete,krähte ein Hahn.61Der Herr drehte sich um und blickte Petrus an.Da erinnerte sich Petrus an das, was der Herr zu ihm gesagt hatte:»Noch bevor heute der Hahn kräht,wirst du dreimal abstreiten, mich zu kennen.«62Und Petrus lief hinaus und weinte heftig.

Petrus hatte kurz vorher noch vollmundig gesagt, dass er selbstverständlich zu Jesus stehen würde. Jesus hatte ihm vorhergesagt, dass Petrus ihn dreimal verleugnen würde, ehe der Hahn kräht. Und er hatte dazu gesagt: Ich aber habe für dich gebeten, dass dein Glaube nicht aufhöre.

Als der Hahn kräht und der gefangene Jesus Petrus anschaut – da kommt die Erinnerung wieder in Petrus hoch. Dass er so versagt hat, das hat einen Rahmen. Jesus hat es vorhergesagt. Jesus hat für ihn gebetet. Und der eigentlich Schuldige ist der Satan. Jesus hatte gesagt: Simon, Simon, siehe der Satan hat begehrt euch zu sieben wie den Weizen. Die Probe, bei der Simon mit dem Beinamen Petrus versagt – das ist der Versuch des Teufels, die Sache Jesu zu vernichten. Wenn Petrus jetzt voller Selbstvorwürfen die Flinte ins Korn wirft, vielleicht einfach frustriert wieder zurückgeht in seinen Heimatort am See und wieder Fischer wird, dann ist die Sache Jesu sehr beschädigt. Deshalb ist es so wichtig, wie Petrus mit seinem Versagen umgeht. Deshalb sieht Jesus ihn an. Und in dem Anschauen Jesu liegt nicht das Verurteilen, sondern ein Zutrauen. Du, Petrus, wirst gerade wegen deinem Versagen ein guter Gemeindeleiter der ersten Gemeinde in Jerusalem sein. Weil du versagt hast, wirst du andere Christen, die versagen, nicht verurteilen. Du hast es am eigenen Leib erfahren: wir alle leben von der Vergebung. Wir alle sind scheiternde und versagende Helden. Und wir werden von Jesus angesehen. Und in diesem Ansehen liegt die Chance der Vergebung und des Neuanfangs. Wir sollen Helden sein, wir Christen. Aber wir wissen, wir sind versagende Helden, die Vergebung brauchen. Deshalb ist der Hahn auf evangelischen Kirchen.

Es gibt auch die antikatholische Deutung. Der Papst beansprucht, der Stellvertreter Christi und Nachfolger des ersten Gemeindeleiters Petrus zu sein. Und der Hahn auf den evangelischen Kirchen sagt: Petrus hat Jesus verleugnet. Und was  tut ihr da, in Rom?

Leider hilft uns diese Deutung nicht weiter. Martin Luther hat ja am 31. Oktober 1517 95 Thesen an die Schlosskirche in Wittenberg angeschlagen. Er wollte damit die Reform der Kirche diskutieren. Daraus entstand dann die evangelische Kirche. Weil Reformen in Rom zu diesem Zeitpunkt nicht machbar waren. Die erste These von Martin Luther ist: Das Leben des  Christen ist eine tägliche Buße. Eine tägliche Umkehr. Jeden Tag schauen wir darauf, wo wir versagt haben und wo wir Vergebung brauchen. Deshalb ist die wirklich evangelische Haltung nicht, der katholischen Kirche falsches Verhalten vorzuwerfen oder irgend  jemand  anderem falsches Verhalten vorzuwerfen. Die richtige evangelische Haltung ist: wo habe ich versagt? Wo haben wir versagt als Kirchengemeinde, als Dekanat, als Landeskirche, als evangelische Christinnen und Christen in Deutschland? Wir sind versagende Heldinnen und  Helden. Wir brauchen es, dass der Hahn kräht und Jesus uns anschaut. Und dass Jesus in uns die Möglichkeit sieht, dass wir etwas ändern und verbessern. Dass wir mit unseren Fehlern leben und damit weniger verurteilend werden.

Der Hahn auf den evangelischen Kirchen ist deshalb eine gute Erinnerung. Wir schieben die Schuld gerne woanders hin. Wir halten uns selbst für Menschen, die es besser machen als  andere. Und wir versagen dabei. Manchmal muss ein Hahn krähen, damit wir es merken. Manchmal brauchen wir dringend, dass jemand uns  warnt und für uns betet. Vor allem aber brauchen wir es, dass Jesus uns anschaut. Dass Jesus sieht, wie wir sein können, nicht wie wir uns gerade jetzt fühlen mit dem Mist, den wir gemacht haben. Für den wir uns selbst verachten.

Ich glaube das wichtigste an diesem Blick Jesu auf uns ist, dass wir uns selbst anders anschauen. Wir sind nicht nur der Fehler, den wir gemacht haben. Wir sind nicht nur der Sumpf, in dem wir jetzt gerade stecken. In uns liegt die Möglichkeit, den Karren aus dem Dreck zu ziehen, zusammen mit anderen. Wir sind mehr als das, was wir falsch machen. Wenn Jesus uns so sieht – dann können wir uns auch so sehen. Ja, wir machen Fehler und Unsinn und verschwenden unsere Möglichkeiten. Aber das haben andere vor uns auch schon getan. Das liegt daran, dass diese Welt voller Fallen ist. Der Teufel, der Durcheinanderbringer und Versucher, sorgt dafür. Und die, die vor uns reingetappt sind in die Fallen – die sind wichtige Figuren geworden. Wie der Petrus. In vielen Kirchen gibt es ihn als Statue oder als Bild. Dass wir Fehler machen ist nicht das Ende. Wir können trotzdem Gutes und Heldenhaftes bewirken. Vielleicht gerade wegen dem, was wir falsch machen. Weil wir daraus lernen können.

Welche Heldenhaftigkeit brauchen wir heute? Wir brauchen  Menschen, die die Probleme  angehen. Klimawandel z.B. Bei unserem Treffen vom Messeler Bündnis für Demokratie und Mitmenschlichkeit am Montag hat jemand gesagt: Wir müssen den Karren aus dem Dreck ziehen. Das fand ich ein gutes Bild. Dazu muss man eigentlich nicht  besonders heldenhaft sein. Man muss nur zur richtigen Zeit am richtigen Ort sein und bereit sein, sich Schuhe schmutzig zu machen. Und selbst, wenn ich nicht so viel Muskeln habe: mitziehen kann ich auf jeden Fall.

Ich finde, es braucht auch  noch ein christliches Heldentum. Wenn über Glaube und Kirche gesprochen wird, kann man sagen: ich gehöre dazu. Mir ist das wichtig. Und damit ändert sich die Gesprächslage und an was man sich anpasst. Das ist manchmal nicht einfach. Wenn z.B. die Frage aufkommt: feiern wir als Jahrgang Konfirmationsjubiläum, dann setzen sich zu oft die durch, die mit Kirche nicht mehr so viel anfangen können. Das ist schade. Ich finde, wir als Christinnen und Christen könnten selbstbewusster und stärker auftreten. Was haben die Trittbrettfahrer, die aus der Kirche austreten,  denn schon zu bieten. Kirchenmitglieder sind viel mehr ehrenamtlich engagiert, wir können stolz auf uns sein.

Ich halte inne…

Ich mache das, was der Hahn auf dem Kirchturm eigentlich verbietet. Ich sehe die Schuld bei anderen, nicht bei uns selbst.

Ja, wir sind ja auch dann am überzeugendsten, wenn wir selbstkritisch sind. Aber das heißt nicht, dass wir die Kraft des christlichen Glaubens verleugnen. Oder öffentlich hintan stellen. Im Gegenteil: in dieser biblischen Geschichte vom Versagen und von der Vergebung steckt eine große Chance für unsere ganze Gesellschaft. Mit dieser Geschichte im Hintergrund können wir aus dieser aggressiven Stimmung rauskommen. 

Wir treten einen Schritt zurück aus den lauten Vorwürfen, die wir uns gegenseitig machen. Wir lassen uns anschauen von Jesus. Das wirkt in uns.

Unser Bürgerspaziergang war leise. Das ist vielen aufgefallen. Und das war gut so. Wir brauchen nicht zu brüllen. Was hier zwischen Jesus und Petrus geschieht, ist ganz leise. Ein Blick. Und ein Hahn, der kräht. Und dann die Tränen von Petrus.

Dass Petrus sich ändert, braucht dann Zeit. Der Auferstandene Jesus Christus fragt Petrus einige Zeit später drei mal: hast du mich lieb. So wie Petrus hier Jesus dreimal verleugnet hat. Und dann bekommt er den Auftrag, die Gemeinde zu leiten.

Also, die Selbsterkenntnis und die Tränen bei Petrus brauchen einige Wochen, um zu wirken. Das war eine bittere und schwere Zeit für Petrus.  Aber sie war nötig, damit etwas neues entstehen konnte. Damit aus seinem Fehler eine Fähigkeit werden konnte. Da musste etwas in ihm wachsen. Mitten in der Verzweiflung darüber, dass er so ein Feigling war.

Liebe Mitchristinnen und Mitchristen, wir sind scheiternde christliche Heldinnen und Helden. Aber wir sind trotzdem Heldinnen und Helden. Weil Jesus da ist und uns anschaut.  Und wenn wir manchmal zu Hahn hinauf schauen, wenn er schön in der Sonne glänzt, dann wissen wir. Wir brauchen Vergebung. Aber wir haben auch Zugang dazu.

Und der Friede Gottes….