Liebe Gemeinde,
heute gedenken wir der Deportation von Arthur und Herbert Neu aus Messel, die am 18. März 1942 von der Gestapo abgeholt wurden und am 20. März von einem Bahnhof in Darmstadt mit ca 1000 anderen Menschen zusammen ins Ghetto Piaski bei Lublin verschleppt wurden und dann später in einem Vernichtungslager ermordet wurden.
Arthur und Herbert Neu waren Mitglieder der Synagogengemeinde in Messel. An die Synagoge in Messel erinnert eine Tafel in der Holzhäusergasse. Eine Nacht nach der Reichsprogromnacht am 11. November 1938, die Nachrichtenübermittlung nach Messel hatte nicht funktioniert, wurde die Synagoge in Messel niedergebrannt. Die 11 noch in Messel wohnenden Jüdinnen und Juden wurden aus ihren Häusern gezerrt und im Spritzenhaus eingesperrt. Ihre Häuser wurden ausgeraubt und die Wohnungen verwüstet. Zu den 11 Personen gehörten auch Herbert Neu, der damals 8 Jahre alt war, und seine Eltern Rosa und Arthur Neu. Zwei Tage später durften sie in ihre verwüstete Wohnung zurückkehren. Rosa Neu starb 1942 im jüdischen Krankenhaus in Frankfurt. 46 Tage später wurden ihr zwölfjähriger Sohn Herbert und sein Vater Arthur von der Gestapo abgeholt.
Karl Wenchel hat vor Jahren den Konfirmandinnen und Konfirmanden bei einem Gedenken an der Gedenktafel vor der Schule zwei Geschichten erzählt, die ich ihnen hier weitererzählen möchte. Er hat nicht den Namen Arthur Neu erwähnt. Aber aus der Chronik 1200 Jahre Messel geht klar hervor, dass sie von ihm handelten. Er musste den Judenstern tragen und wurde vom Schulunterricht ausgeschlossen. Sehnsüchtig beobachtete er am Zaun der Schule seine ehemaligen Freunde, die in der Pause auf dem Schulhof spielten. Da kam ein Bauer mit einem Ochsenkarren vorbeigefahren und hat mit der Peitsche Herbert eins übergezogen.
Das hatte ihm niemand von „oben“ befohlen. Es war einfach eine alltägliche Grausamkeit, wo jemand die Gelegenheit genutzt hat, einen kleinen Jungen zu quälen, einfach weil er es ungestraft tun konnte.
Die andere Geschichte handelt von der Müller Marie, die sich getraut hat, am hellichten Tag zu den jüdischen Familien zu gehen und ihnen etwas zu Essen zu bringen. Sie war übrigens nicht die einzige, die in Messel den jüdischen Familien geholfen hat. Andere haben nach der Progromnacht geholfen, die Wohnungen wieder bewohnbar zu machen und die zerschlagenen Öfen zu reparieren. Kurz bevor die Familie Neu deportiert wurde hat die Müller Marie versucht Herbert ein paar Bonbons zu schenken. Süßigkeiten durften damals nicht mehr an Juden verkauft werden. Arthur hat abgelehnt, weil er nicht wollte, dass die Marie Schwierigkeiten bekommt, wenn die Bonbons bei ihm gefunden werden.
Paulus schreibt im 2. Brief an die Gemeinde in Korinth 5,10 Denn wir alle müssen einmal vor dem Richterstuhl von Christus erscheinen. Dann bekommt jeder, was er verdient. Es hängt davon ab, ob er zu Lebzeiten Gutes oder Böses getan hat.
Wenn ich die Geschichte von Arthur und Herbert Neu bedenke, dann bin ich dankbar für diesen Satz des Apostels Paulus:
Denn wir alle müssen einmal vor dem Richterstuhl von Christus erscheinen. Dann bekommt jeder, was er verdient. Es hängt davon ab, ob er zu Lebzeiten Gutes oder Böses getan hat.
Die Brutalität und Ungerechtigkeit der Naziherrschaft in Deutschland hat dazu geführt, dass Millionen von Menschen in Konzentrationslagern ermordet worden sind. Und der von Hitler befohlene Angriffskrieg hat ebenfalls Millionen von Opfern in ganz Europa gefordert. Das werden wir in Deutschland niemals vergessen. Aber je weiter das alles zurück liegt um so weniger können wir uns an all die einzelnen Geschichten erinnern. Und diese Geschichten müssen irgendwo aufgehoben werden. Und deshalb ist es eine gute Nachricht, die Paulus uns hier sagt: Denn wir alle müssen einmal vor dem Richterstuhl von Christus erscheinen. Dann bekommt jeder, was er verdient. Es hängt davon ab, ob er zu Lebzeiten Gutes oder Böses getan hat.
Der Bauer, der Herbert neu geschlagen hat, muss vor der Richterstuhl Christi erscheinen. Marie Müller muss vor dem Richterstuhl Christi erscheinen und die russischen Diktatoren Stalin und Putin müssen vor dem Richterstuhl Christi erscheinen und wir müssen das auch. Und das ist gut so.
Das ganze Unrecht und auch die ganzen guten Taten werden nicht vergessen werden. Jeder bekommt, was er verdient.
Ich finde das tröstlich. Es ist nicht so, dass Putin einfach machen kann, was er will, und dass all das Leid, das er auslöst ungesühnt bleiben wird. Und auch die mutige Tat der russischen Journalistin, die sich getraut hat in der russischen Nachrichtensendung auf den Krieg hinzuweisen, wird belohnt werden.
Es wird einen Ausgleich geben. Es wird offenbar werden, was jeder und jede getan hat. Die Verbrecher an der Spitze eines Staates werden das Leid jedes Einzelnen und jeder einzelnen, das sie zu verantworten haben, in allen Einzelheiten wahrnehmen müssen. Sie werden weder sich selbst noch andere mehr anlügen können über das, was sie verbrochen haben.
Und auch wir werden wahrnehmen müssen, was unser Verhalten bei anderen ausgelöst hat und was unsere Taten bewirkt haben, sei es Gutes oder sei es Böses. Auch wir werden offenbar werden müssen vor dem Richterstuhl Gottes. Und auch das finde ich tröstlich. Ich finde es richtig, dass auch meine Illusionen darüber, was für ein guter Mensch ich gewesen bin, vor dem Richterstuhl Gottes zerschlagen werden. Aber auch meine Vorstellungen darüber, was ich alles schlecht gemacht habe, werden der Klarheit Christi nicht standhalten. Auch ich werde mich nicht mehr über mich selbst belügen können. Und das ist gut so.
Ein Kollege hat kürzlich gesagt (es ging um die Coronapandemie): Ich möchte nicht, dass das Wort Strafe und Gott im gleichen Satz vorkommen.
Ich halte diese Aussage für falsch. Ich glaube es war ein Fehler, dass wir im 20. Jahrhundert, die Rede vom Gericht Gottes über alle Menschen so in den Hintergrund haben treten lassen. Ich glaube, wir brauchen solche Sätze dringend wie Paulus sie hier sagt: Denn wir alle müssen einmal vor dem Richterstuhl von Christus erscheinen. Dann bekommt jeder, was er verdient. Es hängt davon ab, ob er zu Lebzeiten Gutes oder Böses getan hat.
Sonst müssten wir über die Ungerechtigkeit der Welt, Angriffskriege und der ungebremsten Grausamkeit von Diktatoren verzweifeln. Ich finde es besser statt dessen, auf das Gericht Gottes zu hoffen.
und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft bewahre unsere Herzen und Sinn in Christus Jesus zum ewigen seligen Leben!