Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen. Amen.
Liebe Gemeinde,
jetzt im Frühling freuen wir uns an der erwachenden Natur. An den Schneeglöckchen im Garten. Am Sonnenschein. Und an den Tulpensträußen in der Wohnung. Das ganze Jahr über erinnern uns unsere Zimmerpflanzen daran, dass die Natur stark ist. Dass im Herbst und Winter zwar so etwas wie ein Sterben stattfindet, das aber in Wirklichkeit nur ein Schlaf der Verwandlung ist.
Auch in der Bibel werden wir daran erinnert. Jesus spricht vom Weizenkorn, das in die Erde fällt und erstirbt. Nur so bleibt es nicht allein, sondern bringt viel Frucht. Das, was wie Sterben aussieht, ist eine Verwandlung. Eine Zeit der Veränderung. Eine schmerzhafte Zeit der Veränderung.
Jesus redet dabei von seinem bevorstehenden Tod. Ein großes Leiden kommt über ihn und damit auch über die Menschen, die ihm nahe sind. Und doch geschieht etwas im Inneren der Jüngerinnen und Jünger Jesu. Irgendwie gelingt es, dass sie das Beste daraus machen können. Dass aus dem Leiden, der Hilflosigkeit, dem Schmerz, dem Schock, den Tränen etwas Sinnvolles kommt. Das Leiden wird verwandelt in etwas, das Fruchtbringen und Nichtalleinsein bedeutet.
Was braucht es dazu?
Das Weizenkorn liegt in der Erde. Es ist dunkel. Es dauert. Und es muss das aufgeben, was bisher war. Das Alte muss vergehen, um verwandelt zu werden.
Das kann ein sehr langer Weg sein. Manche Trauer begleitet uns ein Leben lang. Manche Verletzung werden wir nie ganz überwinden. Die Dunkelheit ist lange. Das Alte, das uns festhält, ist stark.
Aber in dieser Zeit entsteht im Verborgenen neue Kraft. Das ist ein ganz natürlicher Vorgang. Ich kann gar nichts dazu tun. Ich kann es nicht beschleunigen. In mir geschieht etwas.
Das Weizenkorn erstirbt. Und während dieses Sterbens entsteht im Verborgenen das, was Frucht bringt. Was das Alleinsein beendet.
Wir müssen durch das Leiden hindurch gehen. Durch die Angst. Die Einsamkeit, in der wir alles für uns selbst allein ausmachen wollen. Wo die alten Verletzungen wirken. Die merkwürdigen Botschaften und Sätze aus der Vergangenheit.
Zum Glück arbeitet unsere Seele im Verborgenen. Und sie arbeitet zum Heilen hin. In uns ist etwas von diesem Weizenkorn.
Wir können das Schwierige verdrängen. Aber dann sehen wir einen Film. Oder lesen etwas. Oder begegnen einem Menschen, der auf uns wirkt. Und dann arbeitet in uns etwas weiter. Das Weizenkorn, das erstirbt. Und währenddessen entsteht das Fruchtbringen, das das Alleinsein überwindet.
Das ist ein langer Weg mit Auf und Abs. Mit Umwegen und Stolpersteinen und Felsbrocken, die das Weiterkommen behindern. Felsbrocken, wie der vor Jesu Grab, den Engel weggeräumt haben.
Es ist nie vollständig geschehen. Deshalb feiern wir jedes Jahr neu Passion und Ostern. Jedes Jahr neu denken wir an das Weizenkorn, das erstirbt, um Frucht zu bringen und nicht allein zu sein. Wir denken dabei an Jesus. Er ist gestorben und auferstanden und kam so seinen Jüngerinnen und Jüngern besonders nahe. Vorher haben sie wenig von ihm verstanden. Aber jetzt war er in ihnen durch seinen Geist.
Weizenkorn ist aber auch, dass Jesus bei uns ist in unserem Leiden. Dass da nicht nur unsere seelische Kraft ist, die das Leiden überwinden kann. Sondern die göttliche Kraft, die den Tod überwindet und uns Christen zu einer weltweiten Gemeinschaft macht.
Damit diese göttliche Kraft, die uns hilft, aus dem Leiden etwas Gutes zu machen, uns verwandeln kann, setzen wir uns dieser Kraft aus.
Wenn ich die wohltuende und wärmende Wirkung von meiner Infrarotlampe auf den Rücken haben will, muss ich die Lampe anmachen, mich ihr aussetzen und dann abwarten.
Die Kraft Gottes empfange ich, indem ich mich ihr öffne. Hilfreich ist dabei die Bibel, der Gottesdienst und das Gesangbuch. Natürlich kann ich auch im Wald und nachts im Bett oder im Garten mich für Gott öffnen. Gott ist immer nur ein Gebet weit von uns entfernt.
Wir haben gerade die Lesung der Predigttextes Johannes 12,20-24 von Roland Marschner-Rebhan gehört. Und das Lied, das das Bild vom Weizenkorn auslegt, gesungen von Marion Berz-Hillinger, begleitet von Rainer Benkel. Ich freue mich, dass wir als Evangelische Kirchengemeinde hier in Messel das Wort Gottes so unter uns wirken lassen. Und wenn wir dann nachts wach liegen oder im Wald unterwegs sind, dann kommen die Worte in uns zur Wirkung. Vielleicht ohne dass es uns bewusst wird. Die Bibel enthält starke Worte. Worte, die mit uns gehen. Die uns im Inneren verändern. Worte, die uns helfen, aus unserem Leiden etwas Gutes zu machen. Wir beschäftigen uns mit dem Leiden Jesu, damit wir verwandelt werden. Damit unser Leiden mit hinein genommen wird in die Geschichte des christlichen Glaubens. Vor uns haben Menschen mithilfe der Bibel ihr Leiden getragen und in etwas Sinnvolles verwandelt. Und wir stehen in dieser Geschichte und tragen dazu bei, indem wir uns verwandeln lassen. Wir hören die Worte. Wir lassen sie wirken. Und dann warten wir. Das, was von Gott her kommt, geschieht tief in unserem Inneren. Es dauert. Es braucht Wiederholung. Auch nächstes Jahr in der Passionszeit und der Osterzeit. Und immer, wenn wir uns der göttlichen Kraft aussetzen, wirkt etwas.
Meine Infrarotlampe wirkt manchmal mehr, manchmal weniger. Menschen, die Gymnastik machen, wissen, es kommt darauf an, dass man es einfach jeden Tag macht. Und das wirkt.
Liebe Gemeinde,
ich wünsche Ihnen, dass das Bild vom Weizenkorn, das erstirbt, um Frucht zu bringen und nicht mehr allein zu sein, bei Ihnen wirkt. Ich wünsche Ihnen, dass das, was Sie zu tragen haben, ein wenig leichter zu tragen ist. Dass ein wenig von dieser Verwandlung des Weizenkorns bei Ihnen geschieht. Von der Verwandlung des Leidens in etwas Sinnvolles.
Die Aufgabe wird mit uns gehen ein Leben lang. So wie wir jedes Jahr Passion und Ostern feiern.
Und dann, dort, werden wir richtig verwandelt werden. Die göttliche Lebenskraft, die hier tröstend gewirkt hat, wird dort ganz da sein.
Und der Friede Gottes, der höher ist als all unsere menschliche Vernunft, der bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus zum ewigen, seligen Leben. Amen.