Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen. Amen.
Liebe Gemeinde,
stellen Sie sich jemanden vor, der Sie sehr ärgert. Der bereichert sich auf Kosten der Gemeinschaft. Der verrät alle wichtigen Werte, die wir brauchen, um als Gemeinschaft gut zu leben. Der tritt die Grundlagen des sozialen Lebens mit Füßen. Der ist korrupt. Den kann man doch nur verachten und ihm die kalte Schulter zeigen.
Und dann müssen Sie sehen, wie Jesus mit dem isst und feiert. Das ist unfassbar! Wieso diese Provokation von Jesus?
Das bringt alles durcheinander. Da muss ich mich völlig neu sortieren.
So ähnlich ging es Jüngern und Pharisäern in folgender Geschichte.
Mt 9,9-13
9Jesus ging von Kapernaum weiter.
Da sah er einen Mann an seiner Zollstation sitzen.
Er hieß Matthäus.
Jesus sagte zu ihm: »Komm, folge mir!«
Da stand er auf und folgte ihm.
10Später war Jesus im Haus zum Essen.
Viele Zolleinnehmer und andere Leute,
die als Sünder galten, kamen dazu.
Sie aßen mit Jesus und seinen Jüngern.
11Als die Pharisäer das sahen,
sagten sie zu seinen Jüngern:
»Warum isst euer Lehrer mit Zolleinnehmern und Sündern?«
12Jesus hörte das und antwortete:
»Nicht die Gesunden brauchen einen Arzt,
sondern die Kranken.
13Überlegt doch einmal,
was es bedeutet, wenn Gott sagt:
›Barmherzigkeit will ich und keine Opfer!‹
Ich bin nicht gekommen,
um die Gerechten zu rufen,
sondern die Sünder.«
Wieso provoziert Jesus die Pharisäer, denen er eigentlich nahe ist? Wie sie will er das Volk zurück zum Glauben bringen und zum Handeln aus dem Glauben heraus.
Wieso diese Provokation?
Sie ist offensichtlich unvermeidbar, um Menschen zum Glauben zu bringen und zu heilen. Dieser reiche Zolleinnehmer, der viel Geld bezahlt hat für die Zollstation bei den Römern und nun immer mehr verlangt, um richtig schön reich zu werden, der scheint innerlich und sozial krank zu sein. Alle, die was auf sich halten, verachten ihn. Alle, denen er zu viel abgeknöpft hat, ballen innerlich die Fäuste. Äußerlich können sie es nicht, sonst bekommen sie Ärger mit den römischen Soldaten und die fackeln nicht lange. Irgendwie scheint dieser reiche Matthäus moralisch beschädigt zu sein. Jesus läuft mit großer Aufmerksamkeit und innerlichem Offensein an ihm vorbei. Und er merkt, dass dieser Zolleinehmer Matthäus bereit ist für ein einfaches: Komm, folge mir. Auf den Ruf in die Nachfolge hin steht er einfach auf und folgt Jesus. Das erneuerte Volk Gottes, das Jesus beruft, besteht auch aus Zöllnern. Es besteht auch aus ehemaligen Widerstandskämpfern gegen die Römer. Es muss ganz schön viel Spannungen gegeben haben in dem engsten Kreis, bei den 12 Aposteln. Dafür ist es erstaunlich, dass es bei den ganz frühen Christen kaum Spaltungen gab. Jesus ist es mit seinen Provokationen gelungen, eine Gemeinschaft zu formen, die auch große Spannungen ausgehalten hat.
Wie ist das Wunder gelungen, dass so jemand, ein korrupter reicher Kollaborateur, ein Jünger Jesu wird? Das funktioniert nach dem Prinzip: Gottes Güte treibt zur Umkehr. Matthäus bekommt zunächst etwas, was seine hungrige Seele dringend braucht: jemand möchte etwas mit ihm zu tun haben. Und nicht nur jemand: Jesus, der große Wundertäter und Wanderprediger, von dem so viele erzählen.
Er isst mit Matthäus und natürlich kommen Leute wie er dazu. Andere Zöllner. Andere Sünder, also Menschen, dich nicht so ganz koscher leben. Ein Festmahl. Ein Festmahl der Versöhnung über große Gegensätze hinweg. Da ist der reiche und unmoralische Matthäus, der unter den Folgen seiner Lebensentscheidung leidet. Und da ist Jesus, der etwas eigentlich unmögliches versucht, ein neu geeintes Gottesvolk über alle Spannungen hinweg. Weil Gottes heilende und freundliche Zuwendung doch ankommen muss bei den Menschen.
Wo sind wir in dieser Geschichte?
Manchmal sind wir wie Matthäus. Wir sind krank und wir brauchen Heilung. Wir brauchen den wirklichen Arzt und Heiler, Jesus. Er bringt Gottes Gnade zu uns. Gottes freundliche, heilende, auferbauende, versöhnende, segnende, verwandelnde Kraft. Da, wo wir Heilung brauchen, müssen wir uns dem Arzt Jesus zuwenden. Und auf Wunder hoffen. Und geschehen lassen was geschieht.
Manchmal sind wir wie die Pharisäer. Wir wissen, was richtig und falsch ist. Wir treten mit viel Energie für die Werte des Miteinander ein. Wir ärgern uns über die, die nur an sich denken und die Gemeinschaft schädigen. Und wir ärgern uns zu recht. Dann hören wir heute diese Provokation von Jesus. Wir müssen uns in Frage stellen lassen. Auch die, die uns ärgern, können umkehren. Dafür können wir beten. Und dabei wahrnehmen, dass sie vielleicht seelisch krank und bedürftig und beschädigt sind. Wir können uns weiterhin ärgern. Wir können weiter für die richtigen Werte eintreten. Wir können weiter die verurteilen, die das nicht tun. Aber wir können uns auch erinnern: wir wollen nicht versehentlich zu selbstgerechten Pharisäern werden, sondern zu Jüngern von Jesus.
Genau, was machen eigentlich die Jünger in dieser Geschichte. Sie werden von den Pharisäern befragt. Und bevor sie antworten können, antwortet Jesus. Vielleicht ist das ganz gut so. Sonst wäre wohl ziemlicher Unsinn von ihnen überliefert worden. Sie hätten vermutlich die Vorurteile und den Ärger der Pharisäer grob und ungehobelt ausgedrückt. Das wäre nicht gut. Denn dieser Matthäus wurde dann Verfasser des Evangeliums. Jedenfalls gehört das zu den wichtigen Ursprüngen des Evangeliums. Zu der Zeit, als das Matthäusevangelium verfasst wird, ungefähr um 80 nach Christus, 50 Jahre nach Jesu Tod, geht es um die Bewertung von Jesusanhängern verschiedener Herkunft und Ausrichtung. Deshalb haben wir vier Evangelien in der Bibel. Die Christen um 80 bekommen also gesagt: verurteilt nicht Menschen, die früher schlimmes gemacht haben. Übernehmt vielmehr das Urteil Jesu: es geht um Barmherzigkeit. Es geht um Heilung. Und es geht darum, dass Menschen Jesus nachfolgen, bei denen man das nie und nimmer erwartet hätte.
Was heißt das für uns heute?
Für mich als Pfarrer, der sich Sorgen macht um die Zukunft der evangelischen Kirche hier in Deutschland, heißt das: es gibt Erstaunliches. Unerwartetes. Menschen können dazu kommen, von denen man das nie und nimmer erwartet hätte. Die evangelische Volkskirche wird schwächer. Pfarrstellen und Gebäude werden gekürzt. Wir werden vieles lassen müssen, einfach um unsere Kräfte nicht zu verschwenden. Vielleicht brauchen wir Feste mit überraschenden Menschen. Ich weiß nur, dass in unseren Gottesdiensten und anderen Gemeindeveranstaltungen, bei Gesprächen und Begegnungen etwas geschieht von diesem Gott, der Barmherzigkeit und Heilung ermöglicht. Wir als Jünger in dieser Geschichte müssen ja gar nicht viel machen und sagen. Es geschieht etwas. Wir sehen hin. Wir können es bezeugen. Und wir werden durch das Mitgehen mit Jesus verändert und ausgebildet für die Aufgaben der Zukunft.
Wir haben uns in dieser Geschichte noch nicht in Jesus eingefühlt. Vielleicht können wir auch so etwas lernen. Jesus spürt offensichtlich, dass Matthäus bereit ist für den Ruf in die Nachfolge, für diese große Lebenswende.
Wir können versuchen, offen und einfühlsam wahrzunehmen, was los ist. Da bringen Menschen sehr unterschiedlich Voraussetzungen mit. Aber alle können sich in Jesus reinversetzen. Woran könnte er beim Vorübergehen merken, dass Matthäus bereit ist auf den Ruf zu hören: Komm, folge mir. Vielleicht war da eine Sehnsucht im Blick. Vielleicht lag da Neid auf die Gemeinschaft und den Aufbruch, der mit Jesus verbunden war. Vielleicht hat er neugierig nachgefragt, wohin Jesus will und was er und seine Jünger mit sich tragen. Jesus war offen. Wenn er nur ein Frommer gewesen wäre mit klaren Grenzen und Urteilen wie die Pharisäer, dann hätte er es nicht sehen können. Jesus ging durch die Welt mit der Bereitschaft, sich überraschen zu lassen. Die Gelegenheit beim Schopf zu packen. Das Unwahrscheinliche anzunehmen: ein Zöllner will zu Jesus gehören. Das ist, als wenn ein Putinfan und Coronaleugner eine Prädikantenausbildung macht und sich dabei verändert.
Überraschendes kann geschehen. Weil Gott Wunder tut. Weil Menschen den Bedarf haben, sich zu ändern, nachdem ihre bisherigen Lebensentwürfe schief gegangen sind. Barmherzigkeit kommt in unser Leben, wenn wir mit Jesus feiern und Jesus zu uns einladen. Heilung kommt in unser Leben, wenn wir Jesus als Arzt tief in unsere Seele und in unsere Vergangenheit lassen.
Und wir Christinnen und Christen gehen den Weg mit Jesus mit. Wir haben unsere Vorurteile und Grenzen. Manchmal ist es besser, wir lassen Jesus antworten, bevor wir unsere schnellen Urteile auspacken. Und der Weg Jesu beinhaltet auch Leiden und Kreuz, aber dort endet er nicht. Dann kommt Auferstehung. Die heilende Barmherzigkeit wird immer da sein. In uns. Unter uns. Um uns herum. Und unser Ziel in Ewigkeit. Amen.
Und der Friede Gottes, der höher ist als all unsere menschliche Vernunft, der bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus zum ewigen, seligen Leben. Amen.